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Copyright © Süddeutsche Zeitung. Archived transcript of May 27, 2003 article by Dorothee Lehmann.

Weg macht Musik - Eine Brille für Blinde verwandelt Bilder in Töne

Weg macht Musik.

Eine Brille für Blinde verwandelt Bilder in Töne.

Die Töne aus dem Kopfhörer klingen wie eine experimentelle Komposition. Aber sie dienen nicht dem kulturellen Fortschritt, sondern machen Formen und Gegenstände hörbar: Die Spezialbrille für Blinde, die der holländische Physiker Peter Meijer entwickelt und die Hirnforscherin Petra Stoerig an der Universität Düsseldorf getestet hat, übersetzt optische Daten in akustische Signale. Das Gerät unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von einer Sportbrille. Eine winzige Videokamera im Steg zeichnet die Umgebung auf und übermittelt die Bilddaten an einen Laptop. Er übersetzt Hell-Dunkel- Kontraste in laute und leise Signale, oben und unten in hohe und tiefe Töne. Per Kopfhörer gibt der Computer das in Klänge umgewandelte Panorama im Blickfeld von links nach rechts einmal pro Sekunde wieder. Eine grell leuchtende Fußgängerampel links im Blickfeld würde also einen lauten, hohen Ton am Anfang einer Tonsequenz ergeben. Mit Sprachbefehlen steuert der Träger das Tempo der Wiedergabe oder zoomt an einzelne Elemente heran (Hörbeispiele: www.seeingwithsound.com).

Einfache geometrische Formen und Gegenstände, etwa eine Vase, können leicht erkannt und geortet werden. Die Brille ermöglicht auch die Identifizierung von einzelnen großen Buchstaben oder Zahlen wie Hausnummern. Mit Übung konnten Testpersonen im Park auch zwischen Rasen und Weg unterscheiden. Schwierig ist jedoch das Navigieren in komplexer Umgebung: Die Kamera liest alle Bilddaten zweidimensional. Eine Unterscheidung in Vorder- und Hintergrund überfordert die Software ebenso wie schnelle Veränderung und Bewegungen, etwa im Straßenverkehr.

Wie bei jedem komplexen Code sind Training und Gewöhnung notwendig, bis das Gehörte "gesehen" wird. So wie "Bellen" für "Hund" steht, müssen die Träger der Spezialbrille lernen, die Tonfolgen der Gegenstände spontan zu verstehen. In der ersten Phase des Forschungsprojekts hat Petra Stoerig die Brille mit Sehenden getestet, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten. "Blindheit kann viele Ursachen haben, diese Unterschiede wollten wir ausschließen", sagt sie. Die Probanden lebten drei Wochen ohne Licht, die Augen mit Pflastern verklebt. Eine Gruppe testete die Spezialbrille mehrere Stunden täglich auch im Freien, eine andere nur im Labor. Neben den Erfahrungsberichten wertet Stoerig zurzeit noch aus, wie das Gehirn auf die Töne reagiert hat, gemessen mit bildgebenden Verfahren. Die Resultate sollen die Software und das Training verbessern. Stoerig plant spezielle Lernprogramme für Blinde und stark Sehgeschädigte.

DOROTHEE LEHMANN

Source URL of original publication by the Süddeutsche Zeitung:
http://www.sueddeutsche.de/sz/wissenschaft/red-artikel74/